Finanztest – wirklich noch objektiv und unabhängig?

Vorab, dieses ist schon ein etwas älterer Artikel, etwas überarbeitet. Aber die grundlegende Aussage, vorsichtig bei all diesen vielen Tests zu sein, bleibt weiterhin bestehen.

In der aktuellen Finanztest wurden – wieder mal – Berufsunfähigkeitsversicherungen getestet. Dieses mal mit einem „sensationellen“ Ergebnis – 3 von 4 Tarifen sind mit „Sehr Gut“ ausgezeichnet worden.

Hierbei wurden „sensationelle“ Kriterien im Test angelegt, sowie – ganz ehrlich – gröbste Beratungsfehler begangen.

70% Bedingungen

20% Anträge

10% versicherbare Berufe

Der Gewichtungsschwerpunkt  „70% Bedingungen“ wurde mit – sage und schreibe – 9 Merkmalen bewertet. Diese waren:

  • Verzicht auf abstrakte Verweisung / keine Prüfung auf frühere freiwillig gewechselte Berufe
  • Sechs Monats Prognose
  • Leistung ab Beginn des 6 Monats-Zeitraums
  • Leistung rückwirkend bei verspäteter Meldung
  • Nachversicherungsgarantie
  • Stundungsrecht
  • Maximal ein befristetes Anerkentnis
  • Verzicht auf § 19 Abs. 3 und 4 VVG
  • Weltweite Geltung

Auf eine Prüfung von Unternehmenskennzahlen, Annahmepolitik, Klagequoten, Bafin-Beschwerden, Plausibilität der Beiträge wurde vollkommen verzichtet.

Fazit vorab. Würde ich als unabhängiger Versicherungsmakler empfehlen was und wie Finanztest testet, könnte ich mich dauerhaft im Gefängnis einquartieren.

Wie komme ich zu dem Fazit?

Die Berufsunfähigkeit ist eine der wichtigsten Absicherungen von Berufstätigen. Sie zu erhalten ist der Erfahrung nach meist nur in jungen Jahren ohne gesundheitliche Einschränkungen möglich. Daher ist die Wahl des Anbieters von entscheidender Bedeutung.

Unternehmenskennzahlen

Diese Zahlen (Eigenkapitalquote, Bwertungsreserven, freie RfB, Kapitalanlageergebnisse, etc.) sagen aus, wie gut der Anbieter in den letzten Jahren gewirtschaftet hat, welchen Rechnungszins er erreichte, wie solide die Beiträge in Zukunft sein können. War ein Versicherer in der Vergangenheit schon labil, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses auch in der Zukunft eintreten wird, nicht gerade gering. Dieses hat erhebliche Auswirkungen auf die zu zahlende Prämie (Netto-Beitrag). Denn leider ist es derzeit modern, mit knapp auf Kante gerechneten Zahlbeiträgen in den Wettbewerb zu gehen, schon mit dem Wissen, diese ausserordentlich erhöhen zu müssen. So kann sich sehr schnell ein dem Augenschein nach günstiger Anbieter über die Jahre als sehr teurer Anbieter heraus stellen. Denn die Problematik ist, dass nunmal ab einem gewissen Alter ein Anbieterwechsel meist nicht mehr möglich ist, da nach und nach Erkrankungen eintreten, welche eine Annahme ohne Einschränkungen nicht mehr ermöglichen.

Annahmepolitik

Aus meiner Erfahrung der langjährigen Tätigkeit suchen sich immer mehr Versicherer die Perlen aus den Kunden heraus. Immer mehr Versicherer lehnen Anträge bei geringsten Vorerkrankungen pauschal ob, ohne sich das Risiko eingehender anzuschauen. Dieses verleitet sicherlich auch viele gebundene Vermittler der jeweiligen Gesellschaften dazu, bei Anträgen wichtige Angaben als weniger wichtig darzustellen und nicht anzugeben. Die Folge hiervon ist, dass im Leistungsfall, wenn also die Berufsunfähigkeit eintritt, dem Versicherer Tür und Tor geöffnet ist die Leistung zu verwehren, da dann die Angaben auf volle Richtigkeit geprüft werden.

Klagequoten und BaFin Beschwerden

Zahlreiche Versicherer sind gegenüber ihren Versicherten äußerst klagefreudig, sobald es an etwas höhere Summen geht. Hierzu empfehle ich die Seite der Bafin oder des privaten Blogs captain-huk, sich ein eigenes Bild zu schaffen.

Plausibilität der Beiträge

Der Beitrag in einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung setzt sich aus einem Brutto und Netto Beitrag zusammen. Der Netto Beitrag ist der nach Verrechnung von Überschüssen zu zahlende Beitrag, der Brutto Beitrag wäre zu zahlen, wenn die Gesellschaft keine Überschüsse mehr erwirtschaften würde. Des Weiteren kommen hier auch Gewinne, so makaber es klingen mag, aus nicht zur Zahlung gekommenen Leistungen.

Je größer die Differenz dieser beiden Werte desto höher setzt der Versicherer seine Erträge und Gewinne aus sonstigen Bereichen an. Es sollte nicht vergessen werden, dass wir uns derzeit in einem Niedrigzins-Umfeld bewegen, das heißt, dass auch die Versicherer Probleme haben, dauerhaft hohe Erträge zu generieren.

Beispiele aus der aktuellen Finanztest anhand des Beispiels Diplomkaufleute, 37 Jahre Laufzeit, 2000 Euro monatliche Rente

AnbieterNetto BeitragBrutto BeitragKapitalanlagezins im 3 Jahres SchnittFehl oder Überschuss in der DeckungFehl oder Überschuss in der Deckung mit 0,5% Punkte geringeren Kapitalanlagezinsgesamt gezahltes Kapital aus Netto-Beiträgen verzinst
AachenMünchner1089 €2178 €3,84%5392 €-3236 €85978 €
HUK Coburg839 €2048 €4,25%-3433 €-10794 €72344 €
SV Spark. Vers.1424 €2793 €4,05%14259 €2372 €117600 €
Alte Leipziger1038 €1366 €4,92%53096 €42325 €103637 €

Erläuterung:

Fehl oder Überschuss errechnet sich wie folgt: Brutto Beitrag über die Laufzeit (37 Jahre) – Netto Beitrag jährlich nachschüssig mit dem Zins verzinst

Hieran sieht man, wenn die Deckung nur sehr gering positiv ist, bzw. schon negativ, dass die Erhöhung der Netto Prämie nicht sehr weit weg ist, bzw. als Alternative sehr viele Leistungsfälle abgelehnt werden müssen.

Was sagt die letzte Spalte aus? Hier kann man (grob) sehen, wie viel Geld der Versicherer zum jetzigen Zeitpunkt im Grunde für Leistungsfälle in dieser Berufsgruppe einplant. Sicher wird nicht jeder berufsunfähig, dennoch trifft es ca. jeden 4. bis 5. Menschen. Mal früher, mal später. Wenn man hier wiederum Unterschiede von über 45.000 Euro sieht, läßt das wiederum auf den Leistungswillen der Gesellschaft schliessen.

Bedingungen

Diese wurde ja „so qualifiziert“ in neun Punkten getestet. Glücklicherweise bestehen die Bedingungen aus wesentlich mehr Punkten. Beispiele einiger doch sehr relevanter Punkte, welche von Finanztest überhaupt nicht berücksichtigt wurden:

  • Verzichtet des Versicherer auf sein Recht zur Erhöhung der garantierten Beiträge nach §163 VVG? (kann zu imensen Beiträgen führen, ohne das man noch den Anbieter eventuell wechseln kann)
  • Verzicht auf die abstrakte Verweisung nur in der ersten Prüfung auf Berufsunfähigkeit oder auch bei den anschließenden Nachprüfungen? (kann zu Leistungsentfall führen ohne das man wieder Arbeit hat – ohne Worte)
  • Was ist wenn die Berufsunfähigkeit durch grob fahrlässige oder vorsätzliche Verkehrsdelikte verursacht wurde? (z.B. Verkehrsunfall bei dem man durch ein Gericht verurteilt wurde)
  • Wird auch bei der Nachversicherungsgarantie auf die Risikoprüfung verzichtet oder nur auf eine Gesundheitsprüfung?
  • Wird pauschal auf die Umorganisation des Arbeitsplatzes verzichtet, z.B. bei leitenden Angestellten? (kann zu Leistungsentfall führen)

Und viele viele weitere Fragen, die sich einem stellen sollten.

Es läßt sich festhalten, dass die Qualität am Markt sich erheblich mehr streut, als uns Finanztest dieses vormachen will. Der Test ist sehr sehr grob und meiner Meinung nach unverantwortlich, da Menschen in Tarife getrieben werden, die sich auf den zweiten Blick als absolute Rohrkrepierer darstellen. Ich hoffe, dass Finanztest für ihren Test genauso haftet, wie es ein Versicherungsmakler oder Versicherungsberater muss und hierfür auch künftig zur Rechenschaft gezogen wird. Des Weiteren ist die Empfehlung, eine Berufsunfähigkeit nur bis zum Alter 60 Jahre abzuschliessen, absolut verantwortungslos. Der finanzielle Einschnitt, den der Industriemechaniker tragen muss, beträgt mindestens 126.000 Euro bis zur gesetzlichen Rente. Wie soll er diesen abfangen?

Ein Grund mag sein, dass Stiftung Warentest, hiermit auch Finanztest, ihr Lizensierungsmodell umgestellt haben, da sie finanziell in Bedrängnis gekommen sind. Viele „Sehr Gut“ Ergebnisse lassen sich nunmal besser verkaufen…

Als weiteres „Highlight“ dieser Finanztest-Ausgabe findet sich ein paar Seiten später ein Test zu Krankentagegeld Versicherungen. Diese tritt in der Regel vor der Berufsunfähigkeit ein und sichert das Einkommen. Ein absolutes „MUSS“ ist der Verzicht des Versicherers auf sein ordentliches Kündigungsrecht, da aus der Praxis dieses sonst durch Versicherer auch genutzt wird, sobald ein Kunden einige Male für längere Zeit dieses in Anspruch nehmen muss. Hier überhaupt Tarife mit „Sehr Gut“ zu bewerten, die nicht hierauf verzichten ist ein so gravierender Beratungsfehler, den sich ein Versicherungsmakler nicht leisten darf.

Mein Tipp

Wenn ihr nach einem wirklich guten Vertrag sucht, geht zum Experten. Der hat meistens mehrere Vergleichssoftwaren, Morgen & Morgen, Softfair, Infinma, Franke & Bornberg, etc. und kann dann über alle Ergebnisse hinweg, die immer etwas unterschiedlich ausfallen werden, eine Gesamtempfehlung aussprechen, in welche auch seine Erfahrung mit einfliesst.

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